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Gründe für die hohen iranischen Verluste
Von Ghāzī Dahmān
1 Iran und seine Milizen erinnern ohne die Unterstützung russischer Flugzeuge an eine Reihe von Särgen[1] auf dem Weg zur Bestattung. Tag für Tag beweist die Realität, dass diese Regionalmacht keine andere militärische Strategie hat, außer Menschenansammlungen auf der gegnerischen Seite zu bombardieren. Die Taktik Irans besteht schlicht darin, seine Gegner aufzuhalten, indem er ihnen mit den Leichen von Kämpfern den Weg versperrt. Das Land strebt nicht an, den Gegner auszulöschen, dieses Ziel wäre auch unrealistisch. Stattdessen hat man vor, den Feind aufzuhalten, bis sich das Blatt zugunsten der Führung Irans wendet.
8 Um Baschar al-Assad an der Macht zu halten und seine Vormacht über die Hauptstadt Damaskus zu sichern und damit sich die Zahl der Hauptstädte, über die die Mullahs ihre Hegemonie beanspruchen, nicht verringert, verheizt Iran in seinen „Sarg-Offensiven“ hunderte oder tausende junge Männer ohne Perspektive. Diese stammen aus afghanischen Flüchtlingslagern, aus den ländlichen Gegenden Pakistans und den Vororten irakischer und libanesischer Städte. Iran hetzt sie sehenden Auges in den Tod, im Rhythmus enthusiastischer Lieder über Rache für die ahl al-bait[2] und über den Weg nach Jerusalem[3]. Dabei ist absehbar, dass Iran diesen Weg mit tausenden von Leichen pflastern wird, bis er erkennt, dass er auf dem falschen Weg ist.
17 Doch trotz des lauten militärischen Tons und der schrecklichen Energie, die er auf die Kriege verwendet, hat Iran bis jetzt immer noch nichts über Kriegsführung oder Gefechtstechnik gelernt; er macht auch keinen Unterschied zwischen Strategie und Taktik, so als ob es keine Geschichte oder militärische Gegenwart gegeben hätte. Das beweisen seine Experimente auf syrischem Boden. Während klar ist, dass seine Streitmacht zu einer Art militärischer Aktivität entschlossen ist, umfasst diese weder direkte Konfrontation, noch einen klar definierten Gegner. In den wenigsten Fällen gehört sein Gegner dem Militär an. Sichere Städte werden schlicht und einfach mit Waffengewalt und Gewehrfeuer wie von Wegelagerern umzingelt. Das liegt in der Natur der Sache, solange die Organisation und Methoden der militärischen und autoritären iranischen Macht größtenteils denen der Mafia gleichen.
27 Iran konnte seine Fehler in der Vergangenheit verbergen, indem er sich hinter seinen zahlreichen Milizen, die er in der Region aufgebaut hatte, versteckte. Diese Milizen handelten völlig selbständig, ohne jegliche moralischen oder militärischen Pflichten. Sie haben ihre Macht durch Massaker und Verbrechen erkämpft, die sie in den ländlichen Gebieten Syriens und Iraks angerichtet haben, genauso wie zuvor auf den Straßen Beiruts. Dabei gab es keine konkreten Konfrontationen, die es möglich machten, das Ausmaß der Macht dieser Milizen einzuschätzen.
34 Doch die Kraft der syrischen Revolution nahm immer mehr zu und ihre Verbündeten wurden stärker. Die Fehler Irans wurden sichtbar und mehr noch: der Kampf in Syrien zehrte an den Kräften dieser Formierung und zerbrach ihre Struktur. So kam es, dass Iran die Streitmächte Russlands anflehte, sich ihm anzuschließen, damit sie das gesamte iranische Projekt aus dem mörderischen Dilemma befreien, in dem es feststeckte. Damals waren die vom Iran unterstützten Kräfte vor den Angriffen der syrischen Kämpfer auf der Ghāb-Ebene[4], den Bergen von Latakia und der Hūrān-Ebene[5] in die Knie gegangen. Sie wurden von Verzweiflung gepackt und waren davon überzeugt, dass die Angelegenheit den Händen Irans und seiner Verbündeten entglitt.
43 Unmittelbar nach dem Einschreiten Russlands gewann Iran etwas von seinem Selbstbewusstsein zurück. Er profitierte enorm vom Schutz der russischen Luftwaffe und dem Durcheinander innerhalb der Fraktionen der syrischen Opposition. Also warf er eine Vielzahl von Kämpfern auf das Schlachtfeld und hoffte so seine Aufgabe, die syrische Revolution zu ersticken, zu erfüllen. So schnell wie möglich und noch vor Ende der russischen Mission wollte er seine Vormachtstellung sichern. Der iranischen Führung war bewusst, dass solange die russischen Flugzeuge ihren erdrückenden Krieg mit der „Politik verbrannter Erde“ führen, seine Soldaten freie Bahn hätten.
51 Es kam aber so, dass Russland sich dem Druck einiger regionaler und internationaler Parteien widersetzte und außerdem zahlreiche Fehler mit dem Tod von Zivilisten beging. Zusätzlich dazu wurde Russland klar, dass seine ersten Einschätzungen, die über den Krieg gegen die Oppositionsfraktionen herangezogen wurden, ungenau waren und Syrien nicht Tschetschenien sein wird und nicht einmal entfernt vergleichbar.[6] So bildeten sich bei Russland und Iran unterschiedliche Ziele heraus und sie entwickelten jeweils unterschiedliche Vorgehensweisen. Das veranlasste Russland, die Intensität seiner Schläge zu verringern und seine militärische Stärke darauf zu verwenden, seine politischen Ziele durch Druck auf die Opposition und die regionalen Unterstützer-Parteien durchzusetzen und nicht durch den täglichen militärischen Einsatz an den Fronten.
61 Diese Veränderung wirkte sich auf reale iranische Stärke aus, sodass Teheran, das weiterhin die Kämpfe ausweitet, bloßgestellt wurde, nachdem es die Deckung der russischen Luftwaffe verloren hatte. Auch wenn Iran diesen Schutz noch nicht endgültig verloren hat, konnten die Oppositionsparteien doch davon profitieren. Dadurch wurde die Entschlossenheit der zu Iran gehörenden Milizen gestärkt, ihre Offensiven fortzusetzen. Sie glaubten daran, dass die über sechs Monate andauernden Schläge Russlands den Oppositionsparteien die Fähigkeit zur Selbstverteidigung genommen hatten und sie somit endgültig aus dem Kreis der militärischen Akteure ausgeschlossen seien. Man müsse nur noch einige einfache Operationen durchführen und die ganze Sache sei abgeschlossen. Doch was geschah, war, dass Iran wesentliche Teile seiner Macht und die seiner Milizen ins Krematorium drängte und erfuhr, was Kampf bedeutet.
72 Es besteht kein Zweifel, dass das, was Iran an Verlusten bekannt gibt, weit weniger ist, als das was es tatsächlich auf dem Schlachtfeld erleidet. Obwohl Iran unsagbar schwach ist und seine Milizen erhebliche Rückschläge verzeichnen müssen, schallt es dennoch in den Straßen Teherans und der iranischen Städte: der Heilige Krieg für die Völker der Region wird immer an oberster Stelle stehen! Dieser Ruf ist so laut, dass sein Echo in Syrien, Libanon und Irak zu hören ist. Es liegt der Schatten des Todes auf dieser Stimme. Und es kommt noch ein weiterer Schatten dazu: der des völligen Verlustes der Rationalität.
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[1] aṣ-ṣanādīq aṣ-ṣafrā’: wörtlich: gelbe Kisten, gemeint sind hier Särge mit der gelben Hizbollah-Fahne bedeckt.
[2] Wörtlich: Angehörige des Hauses. Ausdruck für die Familie Mohammeds, der mit dem schiitischen Glauben an das Imamat Alis und seiner Nachfahren besondere Bedeutung zukommt.
[3] Die Befreiung Jerusalems hat im außenpolitischen Selbstverständnis Irans nach wie vor einen hohen Stellenrang.
[4] fruchtbare Ebene in der Provinz Ḥamā
[5] Ebene im Süden Syriens, grenzübergreifend zu Jordanien
[6] Nach Auflösung der Sowjetunion wurden zwischen dem überwiegend muslimischen Tschetschenien und Russland zwei Kriege ausgefochten, mit dem Ergebnis, dass Tschetschenien als autonome Republik Teil der russischen Föderation ist.