Resümee
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Resümee
Im Vergleich zu den anderen beiden hier besprochenen Artikeln (siehe Analyse) hält sich Evrensel am genauesten an den HRW-Bericht. Allerdings verzichtet der Artikel auf Augenzeugenberichte. In der Online-Ausgabe können Platzgründe hierfür kaum ausschlaggebend sein. Vielleicht wurde darauf verzichtet, weil eine eigene Recherche nicht möglich war, doch durch die Schilderungen im HRW-Report hätten die regierungskritische Position und die Solidarität mit den Opfern noch pointierter dargestellt werden können. Dass darauf verzichtet wurde, erscheint mir als ein Akt der Selbstzensur, erzwungen durch die erheblichen Einschränkungen der Pressefreiheit in der Türkei und die damit verbundenen Repressionen.
Im Gegensatz zu Hürriyet zweifelt Evrensel die Seriosität von Human Rights Watch nicht an. Die im HRW-Report angeführten Augenzeugenberichte sind unter schwierigen Bedingungen zustande gekommen; dabei wurde versucht, die Aussagen der Opfer durch Gespräche mit anderen Zeugen (Bewohner vor Ort) zu verifizieren. Meiner Einschätzung nach handelt es sich bei HRW um eine seriöse und transparent arbeitende Menschenrechtsorganisation, die international ein hohes Ansehen genießt. Ich gehe daher davon aus, dass die Organisation nur solche Berichte veröffentlicht, deren Aussagen so gut wie möglich überprüft wurden und von deren Wahrheitsgehalt HRW überzeugt ist.
Der HRW-Report fand in den türkischen Medien kein breites Echo. In deutschen Medien wurde durchaus darüber berichtet, neben den hier erwähnten Artikeln in ZEIT und Spiegel Online z.B. auch in den Online-Ausgaben der WELT oder auf Tagesschau.de (Tagesschau.de: „Schüsse […]:10.05.2016, WELT: „Türkei soll […]: 10.05.2016). Es gab jedoch keine öffentliche Stellungnahme der Bundesregierung oder der Europäischen Union zu dem Thema. In einem Kommentar, der anlässlich der Veröffentlichung des HRW-Reports am 12.05.2016 auf Spiegel Online erschien, schreibt Maximilian Popp: „Die EU hat die Türkei zum Partner verklärt. […] Schlechte Nachrichten, wie Tote an den Grenzen, blendet die Bundesregierung aus.“ Der Flüchtlingsdeal habe das Problem der Flüchtlinge „vom Zentrum Europas in die Peripherie verschoben“. Die abschließende Einschätzung von Popp, dass Europa unter einem Mangel an Empathie und Solidarität leide (Popp: „Kollektives Schulterzucken“:112.05.2016), deckt sich mit dem Vorwurf Gerry Simpsons, den auch der Evrensel-Artikel aufgreift: „Die EU soll sich nicht damit begnügen, am Rand zu stehen und zu beobachten, wie die Türkei Munition und Gewehrkolben benutzt, um den Flüchtlingsstrom zu stoppen“ (HRW-Report, 10.05.2016).
Mit dem Artikel hat Evrensel die Vorfälle an der Grenze publik gemacht und dabei die Gelegenheit genutzt, auf die Existenz eines autonomen Kurdengebiets an der syrisch-türkischen Grenze hinzuweisen. So hat sich die Zeitung in Bezug auf zwei wesentliche Themen der türkischen Politik als regierungskritisch positioniert. Für eine kleine Zeitung in einem Land mit Repressionen gegen Journalisten ist das nicht ungefährlich.
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Literaturverzeichnis
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