Einordnung der Zeitungen
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Einordnung der Zeitungen
Die beiden zitierten Zeitungen al-Mustaqbal und ad-Diyār erscheinen im Libanon, einem Land, dessen Medien meist als relativ unzensiert und frei von Einflüssen der Regierung dargestellt werden. Diese Darstellung gründet sich jedoch auf einem Missverständnis. Zwar ist es im Libanon nicht die Regierung, die den Medien vorschreibt, was und wie berichtet wird, jedoch gibt es durchaus Einflüsse von außen, z.B. in der Form von Zeitungseigentümern, Sponsoren und Chefredakteuren, die sich um die Fortexistenz ihres Mediums sorgen und dabei auch ihre eigene Agenda vorantreiben.[7] So kommt es, dass „[n]one of the hundreds of Lebanese media institutions or outlets speak for all Lebanon; instead, each medium operates as a voice for a political or sectarian faction” (Nabil 2013: 1), abhängig von der religiösen und/oder politischen Ausrichtung des Hauptfinanciers. Dies hängt damit zusammen, dass die libanesische Bevölkerung besonders zu Zeiten des Internets und rückläufiger Auflagen zu klein ist, als dass sich hunderte Zeitungen, Zeitschriften, Fernsehsender etc. allein durch den Verkauf ihrer gedruckten Ausgaben oder Werbeeinnahmen finanzieren könnten. Aus diesem Grund sind Medienhäuser gezwungen, sich nach externen Finanzierungsmöglichkeiten umzusehen, die im Gegenzug die Berichterstattung dieser Medien beeinflussen (Nabil 2013: 3). So lässt es sich erklären, dass die beiden zitierten Artikel so unterschiedliche Meinungen bezüglich des Giftgasangriffes auf Ghouta am 21. August 2013 vertreten.
Die Zeitung al-Mustaqbal wurde in den 90er Jahren von dem libanesischen Politiker und späteren Premierminister Rafīq al-Harīrī gegründet und steht daher dessen politischer Bewegung, der Zukunftsbewegung, nah (The Open Society Foundations 2012: 21). Nach dessen Ermordung ging die Zeitung in den Besitz seines Sohnes (und ebenfalls späteren Premierministers) Saʿd al-Harīrī über. Die Zukunftsbewegung gehört der Allianz des 14. März an (The Open Society Foundations 2012: 47), einer politischen Koalition aus Parteien und anderen Gruppierungen im Libanon, die 2005 bei der libanesischen Zedernrevolution entstand. Ihre Hauptforderungen sind ihrer Homepage zufolge der Abzug syrischer Truppen aus dem Libanon, die dort seit dem Bürgerkrieg stationiert waren, und eine Untersuchung des Mordes an Rafīq al-Harīrī, bei dem Mitglieder der 14. März-Bewegung eine syrische Beteiligung vermuten (Nötzold 2015: 218). Durch die Zugehörigkeit der al-Mustaqbal zur 14. März-Bewegung ist deren Berichterstattung dezidiert gegen die syrische Regierung gerichtet, schließt sich den Forderungen nach einem Sturz Assads an und stellt daher meist auch westliche Initiativen zu einer Lösung der Syrienkrise in einem positiven Licht dar. Im Hinblick darauf ist die klare Verurteilung der syrischen Regierung als Schuldigen an dem Giftgasangriff von Ghouta am 21. August 2013 zu sehen.
Die Zeitung ad-Diyār nimmt sowohl in dieser Frage als auch in Dingen, die ganz allgemein mit Syrien zu tun haben, für gewöhnlich die Gegenposition ein. Die 1941 gegründete Zeitung gehört dem englischen Wikipedia-Eintrag zufolge zum an-Nahda Publishing House, der arabische Wikipedia-Artikel verweist auf den saudischen Prinzen Walid ibn Talal als Anteilseigner. Diese Angaben waren durch Internetrecherche leider nicht zu verifizieren, bis auf einen Facebook-Eintrag, der den Sitz des an-Nahda Publishing House mit Riad in Saudi-Arabien angibt. Die Zeitung steht der Hisbollah und der syrischen Regierung nahe und gehört der Allianz des 8. März an (Dajani 2013: 4), der Gegenbewegung zur oben erwähnten Allianz des 14. März. Die 8. März-Bewegung sieht die Rolle der syrischen Regierung nach dem libanesischen Bürgerkrieg 1975-1990 in einem positiven Licht und besteht hauptsächlich aus christlichen und schiitischen Gruppen (Global Risk Insights: 26.06.2015). Daher argumentiert der Artikel aus ad-Diyār auch, dass man nicht sicher sagen könne, wer für den Giftgasangriff von Ghouta verantwortlich war, hebt die Rolle Russlands bei der Bewältigung der Situation hervor und verweist auf die Theorie, dass die Rebellen für den Angriff verantwortlich sein könnten.
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[7] Dies betrifft natürlich nicht nur libanesische Zeitungen, sondern in unterschiedlichen Graden jedes Medium auf der Welt und soll keine orientalistischen Stereotypen über „die Araber“, „den Orient“ etc. artikulieren.